Tag der Akademie 2021
4. November, Cinema Paradiso, St. Pölten
TAG 2 - Rückblick
Zeiten im Aufbruch: Filmbildung und Nachhaltigkeit beim Österreichischen Film
Am 4. November 2021 fand der 2. Tag der Akademie 2021 im Cinema Paradiso (St. Pölten) unter dem Titel „Zeiten im Aufbruch. Filmbildung und Nachhaltigkeit beim österreichischen Film“ statt. Es gab zwei Themenblöcke:
FILMBILDUNG – Wissensvermittlung von und mit Film und NACHHALTIGKEIT 2.0 // How to start / How to implement / How to share?
TEIL 1: FILMBILDUNG – Wissensvermittlung von und mit Film
Den Auftakt bildete ein Netzwerktreffen österreichischer Filmbildungsinstitutionen und Filmbildner:innen. Dabei waren unter anderem Ursula Leutgöb (Kulturvermittlerin, Projekt KimiK – Kino mit Klasse), Tristan Sindelgruber (Dokumentarist, One World Filmclubs), Lisa Mai (dotdotdot Open Air Kurzfilmfestival), Annelies Cuba & Clara Huber (WIENXTRA), Robert Hinterleitner (YAAAS! Jugendschiene beim Crossing Europe Filmfestival) und Hans-Joachim Derra (Lichtspiele Lenzing). Die Runde fand sehr schnell zum Konsens, dass es mehr Filmbildung brauche – sowie mehr Ressourcen und Engagement seitens der Politik. Auch der Wunsch nach mehr Austausch und Vernetzung in Sachen Filmbildung wurde vielfach geäußert. Bei Akademie-Geschäftsführerin Katharina Albrecht-Stadler stieß dieser Appell auf offene Ohren: Man denke hierzu weitere Veranstaltungen an. Die Akademie launcht dazu demnächst auf der Website eine Theorie- und Toolbox, die einen Beitrag zur Sichtbarmachung der vorhandenen Filmvermittlungsangebote leisten möchte und zudem ein Angebot für niederschwellige Weiterbildung in diesem Bereich darstellt.
Bevor es zu angeregten Diskussionen kam, gaben die Anwesenden am Podium Statements ab: Tristan Sindelgruber vertrat die Meinung, dass die Auseinandersetzung mit Film bitter nötig sei – die Lesefähigkeit in Sachen Film nehme seiner Erfahrung nach bei Jugendlichen stark ab. Lisa Mai betonte die Wichtigkeit von Smartphones und Tablets, um Jugendliche abzuholen und verwies auf Vermittlungstools, die man entwickelt habe. Zudem habe man Filmvorführungen bereits für Kleinkinder auf Augenhöhe angeboten.
Annelies Cuba und Clara Huber sprachen über die Wichtigkeit von Filmanalyse und Filmgeschichte, zu denen man bei WIENXTRA Cinemagic Workshops anbiete: Auch aktuelle Themen wie beispielsweise Umweltfragen würde man behandeln. Robert Hinterleitner sagte, dass man beim Zusammenbringen von Kindern und Filmprofis im Rahmen von YAAAS! auch die Herausforderungen beim Einstieg ins Filmgeschäft thematisiert würde. Weiters appellierte er an die Akademie des Österreichischen Films, sich beim Thema Filmbildung noch stärker zu engagieren.
Hans-Joachim Derras Wunsch ist es, Jugendliche verstärkt ins Kino zu bringen. Allerdings sei es schwierig, Expertise regelmäßig in kleine Orte wie Lenzing zu holen – Förderungen des Bildungsministeriums könnten hier für Abhilfe sorgen. Albrecht-Stadler betonte, dass es in der Sache einen stärkeren Schulterschluss benötige – sowie mehr Anerkennung in Sachen Filmvermittlung: Wenn ein Filmschaffender in diesem Bereich tätig sei, dürfe er nicht an künstlerischem Ansehen verlieren. Eine „AG Kulturelle Vermittlung“ wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Beim Thema Filmbildung sprach Stefan Huber (Österreichisches Filmmuseum) via Zoom über Vermittlung als Herstellen von Begegnungsräumen. Vermittlung sei ein Verbindungsstück, das Begegnung ermögliche; dafür sei es essenziell, sich auf das Fremde – auch im Film – einzulassen und nicht nur Bestätigung für die eigene Überzeugung zu suchen. Vermittlung könne hier Hilfestellung leisten. Wie ein Film beispielsweise erzähle, wer die Guten und wer die Bösen seien, sei gerade in der Arbeit mit Jugendlichen spannend: Im Rahmen von Filmgesprächen würden diese erstmals über solche Aspekte nachdenken. Haltung sei hierbei ein Schlüsselbegriff, so Huber. Gemeinsames Filmschauen biete auch den Rahmen, um einander kennenzulernen. Es brauche Bemühungen, regional und sozial diverser zu werden, um größere Gruppen in Sachen Filmbildung zu erreichen.
Ursula Leutgöb thematisierte in ihrem Statement Inhalte und Emotionen der Filmvermittlung. Dies könne gerade bei den Themen Flucht, Asyl und Migration eine wichtige Rolle spielen: Durch Einfühlung würden Geschichten nicht mehr fremd erscheinen, sondern auch Identifikationspotenzial bieten. Jugendliche würden, besonders wenn sie wüssten, dass es sich um reale Geschichten handle, beginnen, Fragen zu stellen. Zahlen – beispielsweise von im Mittelmeer ertrunkenen Menschen – würden plötzlich zu konkreten Menschen und Schicksalen. Man könne dann nicht mehr sagen, dass einen das Thema nichts angehe. Film solle jedenfalls mehr als ein Zuckerl zur Belohnung der Jugendlichen sei – dem Medium müsse von höherer Stelle größere Aufmerksamkeit zuteil werden. Leutgöb betonte weiters, dass man den großen Wunsch habe, verstärkt in die Provinz zu gehen. Hier sei Finanzierung besonders wichtig, da kleinere Schulen am Land sich Filmbildungsprogramme oft nicht leisten könnten.
Antonia Prochaska (Akademie des Österreichischen Films) präsentierte danach die Filmbildungsprojekte der Akademie des Österreichischen Films, darunter die Theorie- und Toolbox, den Lei(n)wand Kino Club und den EFA Young Audience Award. Dies soll ein niederschwelliges Angebot für Filmbildung und Vermittlung darstelle. Menschen mit Interesse an Filmbildung und Jugendliche Filmfans sind herzlich aufgerufen, mitzumachen!
Am Podium „BewegtBILDung und Kinoliebe“ nahmen – unter der Moderation von Katharina Albrecht-Stadler – Clara Stern (Regisseurin), Robert Hinterleitner (YAAAS! Jugendschiene Crossing Europe) und Lisa Mai (Festivalleitung dotdotdot und Kaleidoskop) teil. Stern vertrat die Meinung, dass Jugendliche auch in Zeiten Sozialer Medien weiterhin gerne Filme sehen würden, man aber Angebote für das Kino als sozialen Raum verstärken müsse. Auch das Bewusstsein für die Existenz der österreichischen Filmbranche müsse verstärkt werden. Zudem müsse man sich bemühen, die elitären Blase zu verlassen. Mai sagte, dass man dotdotdot gegründet habe, um die jüngste Zielgruppe ans Kino heranzuführen. Der Kinofunke müsse schon im frühesten Kindesalter entfacht werden – dafür brauche es auch immer wieder neue Vermittlungskonzepte. Hinterleitner meinte, dass mehr als bloßes Konsumieren von Filme nötig sei: Man müsse es Schaffen, aus der Passivität zu kommen – Medienkompetenz solle endlich auch an den Schulen verstärkt ankommen. Filmbildungsinstitutionen würden hierzu bereits einen wichtigen Beitrag leisten.
TEIL 2: NACHHALTIGKEIT 2.0 // How to start / How to implement / How to share?
Beim Thema Nachhaltigkeit referierten Barbara Pridnig (Green Film Consultant) und Nina Hauser (GFC Austria, ÖFI) über das Thema Green Filming. Pridnig, die als Green Film Consultant Filmproduktionen begleitet, stellte das Evergreen Prisma der Lower Austrian Film Commission vor. Green Filming habe das Ziel, CO2-Emissionen im Produktionsprozess zu reduzieren, neben ökologischen kämen noch ökonomische und soziale Aspekte hinzu. Man biete kostenlose Weiterbildung für Filmschaffende an, auch auf die Ausbildung des Filmnachwuchses lege man großen Wert. Sehr wichtig gestalte sich hierbei ein transnationales Netzwerk aus Filmschaffenden, Institutionen, Förderstellen, Festivals etc. Ein filmspezifischer CO2-Rechner, mit dem man man den ökologischen Fußabdruck einer Filmproduktion bestimmen könne, sei das Herzstück des Evergreen Prisma. Weiters stellte sie das filmische Pilotprojekt HEIMSUCHUNG vor, das die Richtlinien des ÖFI umsetzen möchte. Zu den Maßnahmen gehören beispielsweise keine Flugreisen unter Distanzen von 500 Kilometern, die Verwendung von Öko-Strom oder die Buchung von Green Taxis.
Hauser verwies darauf, dass das ÖFI 2019 eine Green-Offensive gestartet habe. Mehrkosten zur Implementierung grüner Maßnahmen werden bzw. seien bereits förderungsfähig. Um diese Maßnahmen mit gutem Know-how in die Branche zu bringen, sei die Weiterbildung der Filmschaffenden essenziell. Berufliche Weiterbildung werde gefördert. Zusammenarbeit und Dialog der Institutionen untereinander finde bereits statt; ab Herbst 2021 würden verstärkt Informativonsveranstaltungen angeboten. Man habe zudem versucht, ein besonders niederschwelliges Regelwerk anzubieten.
Regina Preslmair (Bundesministerium für Klimaschutz und Umwelt) präsentierte das Österreichische Umweltzeichen im Bereich Green Producing. Ausgezeichnet werde der Herstellungsprozess eines Films oder einer Show. Die Nutzungsdauer betrage vier Jahre, die Prüfung erfolge durch unabhängige Gutachter. Zertifizierung sei wichtig, um aus der Greenwashing-Falle zu kommen. Nachhaltige Kommunikation bedeute auch, dass man sich exponieren und nachweisen müsse, was man im Umweltbereich geleistet habe. Auch Filmfestivals könnten noch stärker als Green Events fungieren. Österreichische Filmproduktionen mit umweltbewussten Charakteren seien wünschenswert.
Antonia Prochaska (Nachhaltigkeitsbeauftragte der Akademie des Österreichischen Films) stellte den Nachhaltigkeitsbericht der Akademie des Österreichischen Films und Sharing Sustainability mit den europäischen Partner-Akademien vor. Mit der von Mirjam Unger inszenierten Jubiläumsgala 2020 ließ sich die Akademie mit dem Österreichischen Umweltzeichen zertifizieren. Green Film findet nicht nur auf der Bühne, sondern auch dahinter statt. Das Österreichische Umweltzeichen biete dabei sehr gute Richtlinien, die einen durch den Umstellungsprozess leiten und helfen, sich die richtigen Fragen zu stellen. Man könne durch erneutes Durchdenken und den Verzicht auf gewohnte Verhaltensweisen bereits viel erreichen. Die Gala 2021 wurde pandemiebedingt nicht ins System eingetragen, nichtsdestotrotz wurde so nachhaltig wie möglich agiert. Ein Beispiel der Gala 2021: Die Bühnenbildnerinnen Alexandra Maringer und Klaudia Kiczak schufen für das Foyer ein Modul – eine Art Metallgerüst mit Filmlichtfolien – das nach dem Abbau keinen Müll hinterließ. Die Einzelteile konnten danach weiterhin genutzt werden. Das Catering sei rein vegetarisch und der Inhalt der Goodie Bags umweltbewusst. Mit dem Projekt Sharing Sustainability teile man die eigenen Erfahrungen in Sachen Nachhaltigkeit auf europäischer Ebene mit anderen Akademien. 2022 wird die Gala wieder ins System des Österreichischen Umweltzeichens eingetragen.
Ein Podium unter der Moderation von Antonia Prochaska, an dem Karin C. Berger (Produzentin), Valerie Blankenbyl (Regisseurin), Robert Schabus (Regisseur) und Christoph Wagner (Cinema Paradiso) teilnahmen, stellte die Frage, ob Green Story Telling die Welt verbessern könne. Christoph Wagner bejahte die Frage – man zeige entsprechende Filmprogramme und unterstützte mit Veranstaltungen den Bildungsbereich, darunter etwa Schulvorführungen. Man dürfe den Menschen aber nicht nur deprimierende Bilder zeigen, sondern auch schöne: Die Balance sei wichtig. Das Kino sei durch die Größe der Bilder ein ganz besonderes Filmerlebnis. Weitere finanzielle Unterstützung in Sachen Filmbildungsveranstaltungen sei wünschenswert. Blankenbyl sagte, dass sie als Dokumentaristin sich wünsche, dass das Publikum nach einem Film mit neuen Gedanken nach Hause gehe. Nach traurigen Filmen sei es besonders wichtig, das Publikum im Dialog aufzufangen. Man wachse durch Panels – das Geschehen nach einem Film sei wesentlich. Bei ihren Filmen sei stets die eigene Grundhaltung zu spüren. Wenn man gesellschaftlich engagierte Filme mache, gebe es sehr viel Bedarf an Podiumsgesprächen – dieser Punkt solle auch bei der finanziellen Förderung der Projekte eingerechnet werden.
Schabus hoffte, dass Dokumentarfilme Diskussionen anstoßen können – dies sei bereits sehr viel. Er schilderte dabei die Erfahrungen mit seinem eigenen Projekt BAUER UNSER, das viele Gespräche angeregt habe. Film sei eine der Kunstformen, die viele Menschen erreichen könne. Man solle sich nicht als Konsument begreifen, sondern als politischer Mensch. Schabus weiter: Man müsse als Filmschaffender dort hinsehen, wo es einen auch selbst schmerze. Kino sei im Schulbereich immer noch eine große Baustelle – hier müsse das Bildungsministerium eingreifen. Kino sei eine Aufmerksamkeitsschule: Hier könne man sich auch in den heutigen hektischen Zeiten zwei Stunden ohne Ablenkung einem Film aussetzen.
Berger meinte, dass Film – und insbesondere der Dokumentarfilm – Menschen zum Nachdenken anregen könne. Ein einzelner Film könne zwar nichts zur ganz großen Veränderung führen, so Berger, aber man mache Schritt für Schritt weiter. Man dürfe Menschen nicht in die Ohnmacht treiben, das Filmprogramm müsse ein guter Mix sein – aus schonungslosen und inspirierenden Bildern. Beim Spielfilm sei man bei nachhaltigen Themen im Gegensatz zum Dokumentarfilm noch am Anfang. Der Beruf des Impact Producers, der sich auf die Auswirkungen von Filmen konzentriere, werde zunehmend wichtiger. Prochaska ergänzte, dass man bei Umweltthemen nicht nur auf Öko-Stereotype zurückgreifen solle. Man könne eine neue nachhaltige Normalität mitgestalten – hier seien die Bereiche Drehbuch, Regie und Szenenbild gefragt.
Der Tag wurde von den Anwesenden mit überaus positivem Feedback bedacht, mehrere der Teilnehmenden bedankten sich bei der Akademie für diese Plattform. Es wurde für wichtig befunden, weiterhin im Dialog zu bleiben und Netzwerkarbeit zu forcieren. Katharina Albrecht-Stadler betonte, dass man sich diesen Themen auch weiterhin widmen werde.
Die Projekte der Akademie in Sachen Filmbildung und Nachhaltigkeit finden sich ausführlich auf der Website der Akademie.
Die Akademie dankt dem Land Niederösterreich und dem Cinema Paradiso für die wertvolle Unterstützung.