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Filme denken. Filme machen. Schreiben.

Ein kurzer Text zu Theorie und Praxis von Oliver Stangl

In seinem Toolbox-Beitrag macht sich Oliver Stangl über die Betrachtung von Filmen Gedanken – und wie praktische filmische Erfahrungen eine Hilfe bei der Filmanalyse sein können. Oliver Stangl kümmert sich für die Akademie des Österreichischen Films (Österreichischer Filmpreis) um Texte und Social Media. Für die Publikationen „ray Filmmagazin“ und „FAQ Magazine“ ist er als Redakteur und Autor tätig. Zu seinen Arbeiten als Regisseur gehört u. a. der Dokumentarfilm „Es muss was geben“ (2010).


Seriös – also im Sinne eines Brotberufs – schreibe ich seit rund 15 Jahren über Film. Erste Texte auf diesem Gebiet verfasste ich als Autor für eine Studierendenzeitung sowie als Tutor am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität (wo ich gemeinsam mit Studierenden Filme und ihre Wechselwirkungen mit literarischen Werken analysierte). Nach Abschluss meines Studiums hielt ich an der Universität mehrere Proseminare über die Wechselbeziehung von Film und Literatur ab. Anschließend bot ich meine Talente am sogenannten freien Markt feil, und nach Zwischenstationen bei diversen Publikationen stieß ich zu zwei Printmagazinen, für die ich bis heute als Redakteur und Autor tätig bin.

Das Schreiben über Film ist ein Prozess, der sich im besten Fall stetig weiter- bzw. mit dem Medium mitentwickelt – das analoge Kino vor zwanzig Jahren ist nun mal ein anderes als das digitale Kino (bzw. Streaming) von heute. Auch wenn viele der in Filmen behandelten Themen selbst durchaus konstant bleiben, unterliegen doch die Art des Erzählens und die Weise, wie Geschichten konsumiert werden, einem ununterbrochenen Wandel. Da ich hier nur ein paar der Grundlagen meiner Tätigkeit ansprechen kann, folgt eine Kurzfassung der für mich persönlich wichtigsten Punkte: Leidenschaft für das Medium (vielleicht sogar eine gewisse Besessenheit), theoretisches Grundwissen (hin und wieder ein Buch über Filmtheorie zu lesen schadet nicht; technische Begriffe wie Totale, Jump Cut oder Plansequenz zu kennen, ist Pflicht) und eine gewisse Offenheit diversen Genres gegenüber. Letzteres bedeutet nicht, dass man jedes Genre lieben muss – im Gegenteil, fast jeder Autor bzw. jede Autorin hat Spezialgebiete (bei mir gehören beispielsweise das europäische Filmschaffen der fünfziger und sechziger Jahre ebenso dazu wie das Thrillergenre im Allgemeinen oder das Action-Kino der achtziger und neunziger Jahre). Mit Offenheit meine ich, dass man sich selbst immer wieder herausfordern und bewusst auch Filme schauen sollte, die einem nicht auf Anhieb „liegen“. Das kann einen im schlechtesten Fall zwar langweilen, im besten Fall aber auch neue Perspektiven erschließen bzw. Routinen aufbrechen. Weiters ist ein gewisses Grundmaß an Konzentration erforderlich, da an einem Film sehr viele Departments beteiligt sind – was wiederum bedeutet, dass eine Vielzahl visueller und akustischer Elemente im Spiel ist. Daraus folgt, dass in die Beurteilung bzw. Analyse eines Films sehr viele gestalterische Ebenen – Kameraführung, Musik, Schauspiel, Dialoge, Ausstattung etc. – einfließen können. Wenn man nicht gerade einen langen Thementext oder ein Filmbuch schreibt, wird man aber nicht jedes dieser Elemente ansprechen können. Da der Platz in Printmagazinen begrenzt ist, muss man also eine gewisse Ökonomie erlernen, mit anderen Worten: sich verhältnismäßig kurz halten. Dies gilt übrigens auch für Online-Texte, da die Aufmerksamkeitsspannen im Smartphone-Zeitalter andere sind als noch jene vor zehn Jahren. Es gilt also sich zu entscheiden, welche Elemente man in einem kurzen Text ansprechen will.

Dafür können diverse Kriterien zum Einsatz kommen: Handelt es sich um ein visuelles Spektakel (Blockbuster), wird man Spezialeffekte, Ausstattung oder besonders eindrucksvolle Einzelbilder/Sequenzen wohl nicht ganz verschweigen. Handelt es sich um ein Kammerspiel, kommt man wahrscheinlich nicht an der Beurteilung der schauspielerischen Leistungen vorbei. Kommen clevere Dialoge vor, könnte man einen davon im Text zitieren (was zusätzlich für lebendige Lektüre sorgt). Recherche ist jedenfalls ein Muss, da Seriosität eine Voraussetzung für das Standing bei der Leserschaft ist. Negativbeispiel: Vor einer Weile hat mir ein hoffnungsvoller Jungautor eine Filmkritik zur Probe geschickt – und bereits im ersten Satz den amerikanischen Regisseur des besprochenen Films zum Briten gemacht. Somit hat sich die weitere Lektüre leider erübrigt, denn wenn jemand gleich zu Beginn einen derartigen Fehler begeht, wird man auch im Folgenden an der Expertise des Autors zweifeln. Dabei hätten diesen Fehler wohl nicht wenige begangen, da sich der erwähnte Regisseur mit Vorliebe Stoffen annahm, die in England spielen. Hier macht die Recherche dann aber den entscheidenden Unterschied. Recherche kann sehr umfassend sein: Basiert ein Film auf einer wahren Geschichte, sollte man die Hintergründe zumindest in Grundzügen kennen; mögliche Abweichungen (oder Übereinstimmungen) kann man dann, der mutmaßlichen künstlerischen Absicht entsprechend, besser einordnen. Handelt es sich um eine Literaturverfilmung, könnte man sich (im Idealfall; hier spielt zugegeben auch die Zeit, die man zum Verfassen eines Textes zur Verfügung hat, eine Rolle) ein wenig mit der entsprechenden Vorlage befassen. Hat ein Regisseur bzw. eine Regisseurin schon mehrere Filme gedreht, könnte man auf seine oder ihre Handschrift eingehen (bekannte, willkürlich ausgewählte Beispiele: Sergio Leone wechselte weitläufige Panoramen mit extremen Close-ups von Gesichtern ab; Robert Bresson ließ seine Laien bewusst mit ausdruckslosen Gesichtern agieren, die so zu Projektionsflächen wurden; Hitchcock hatte in jedem seiner Filme, einer Signatur gleich, einen Cameo-Auftritt). Hier können neben dem allgegenwärtigen Internet etwa Monografien eine Hilfe sein.

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(c) AOEF

Was den eigenen Stil betrifft, so stehen die Chancen gut, dass man den Beruf des Schreibenden nur dann ergreift, wenn auch ein gewisses Grundtalent vorhanden ist – alles andere wäre wohl Quälerei. Man muss beim Schreiben nicht überambitioniert sein und sich gleich im Wettbewerb um diverse Journalismuspreise sehen, aber je länger man schreibt, desto eher darf man sich auch trauen, gewisse Stilmerkmale einzusetzen. Bei mir sieht das, um nur einen Aspekt herauszugreifen, so aus, dass ich den Lead bzw. Teaser – also jene Zeile zwischen Überschrift und Haupttext, die auf den Text neugierig machen soll – möglichst kurz abhandle. Manchmal extrem kurz. Das kann etwa mit einer Anspielung auf andere Filme, einem Wortspiel oder dem Einsatz bekannter Redewendungen passieren. So habe ich etwa ein Historiendrama, das das langsame Dahinsiechen eines europäischen Monarchen behandelt, bloß mit „Der lange Abschied“ – so lautet der deutsche Titel eines amerikanischen Kriminalromans – angeteasert. Bei einem teils in Schwarzweiß gedrehten Drama, das in Bayern spielt und mehrere Jahrzehnte umfasst, habe ich bloß „Schwarzweißblaue Geschichten“ (eine Anspielung auf die bayerische TV-Serie „Weißblaue Geschichten“) in die Teaserzeile geschrieben. Einige Leserinnen und Leser haben mir mitgeteilt, dass sie allein durch diese Zeile schon wissen, wann ein Text von mir ist. Für mich ist dieses Stilmerkmal so etwas wie eine nette kleine Herausforderung – Denksport, der Spaß macht. Die Leserschaft kann dann ebenfalls ein wenig Denksport treiben und sich fragen, worauf sich meine Anspielungen oder Wortspiele beziehen. Filmjournalismus darf also durchaus unterhaltsam sein.

Das in aller Kürze zu Theorie und etwas Praxis. Eine Sache aber war für mein Schreiben besonders wichtig: selbst Filme zu drehen. Ich hatte das Privileg, als Regisseur und Editor mehrere Dokumentarfilme umzusetzen (mein letzter Kinofilm ist mittlerweile schon ein paar Jährchen her, aber wie heißt es so schön: einmal Filmemacher, immer Filmemacher), und diese praktische Erfahrung, die Zusammenarbeit mit anderen Filmschaffenden, ist unbezahlbar. Das Filmemachen hat meinen Blick definitiv verändert und mich empathischer gemacht: Ist man als Autor manchmal versucht, ein Machwerk gnadenlos hinzurichten, wird man mit persönlicher Erfahrung an einem Filmset (egal ob es sich um einen Dokumentar- oder einen Spielfilm handelt) ein bisschen verständnisvoller reagieren. Man weiß mehr um Herausforderungen, Ansprüche, budgetäre Hintergründe. Auch formale bzw. kreative Entscheidungen (und Fehlentscheidungen) sieht man womöglich in einem anderen Licht. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ein schlechter Film bleibt ein schlechter Film (hier kommt natürlich die eigene, subjektive Meinung ins Spiel) und kann selbstverständlich auch weiterhin als solcher bezeichnet werden. Aber die praktische Teilhabe am Filmgeschehen lindert die Gefahr, alles aus einem weltfremden Elfenbeinturm heraus zu beurteilen. Meine Überzeugung: Man wird eine Spur fairer in der Beurteilung anderer Werke. Wenn ich daher eine Empfehlung an jemanden aussprechen müsste, der beabsichtigt, sich analytisch oder journalistisch mit Film auseinanderzusetzen, wäre dies, selbst einmal einen Film zu drehen – oder zumindest in irgendeiner Funktion an einem Film mitzuwirken. Je professioneller das Umfeld, desto mehr profitiert man davon. Sollte dies nicht möglich sein, könnte man beispielsweise das Gespräch mit Filmschaffenden suchen und Fragen stellen, die einen schon immer beschäftigt haben – vielleicht ergibt sich daraus sogar die Möglichkeit eines verwertbaren Interviews.

Hierzulande ist es zwar eher selten, dass Filmschaffende auch über Film schreiben, aber andere Länder – etwa Frankreich – haben diesbezüglich eine schöne Tradition. Eine Tradition, die beweist, dass Filme denken und Filme machen (bzw. an Filmen mitarbeiten) einander nicht ausschließen müssen. Wer Theorie und Praxis (des Schreibens, des Filmens) zusammenbringt – und sei es nur für ein kleines Stück des cineastischen Wegs –, der wird meiner bescheidenen Meinung nach maximale Freude am Medium Film haben.

Tipps für einen zugänglichen Einstieg in Sachen Filmliteratur:

  • Thomas Christen (Hg.): Von den Anfängen des Films bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Der internationale Film von 1895 bis 1945. Einführung in die Filmgeschichte, Band 1
  • Thomas Christen (Hg.): Vom Neorealismus bis zu den neuen Wellen: filmische Eneuerungsbewegungen 1945–1968. Einführung in die Filmgeschichte, Band 2
  • Thomas Christen (Hg.): New Hollywood bis Dogma 95. Einführung in die Filmgeschichte, Band 3
  • Franz-Josef Albersmeier: Texte zur Theorie des Films (Reclam)
  • Reclam Filmgenres (diverse)