Final filmstreifen hero v17 transparent

Klang & Gestaltung – Wie mach ich (m)einen Film?

Lukas Jakob Löcker

Lukas Jakob Löcker denkt in seinem Beitrag über die Klangebene als filmische Inspiraton sowie elementar menschliche Erfahrungen als verbindendes cinematografisches Element nach. Löcker ist Medienkomponist, Dokumentarfilmer und Researcher. Er unterrichtet als Lektor der Abteilung Mediengestaltung Lehramt am Institut für Kunst & Bildung der Kunstuniversität Linz. Neben internationaler Vermittlungs- und Ausstellungstätigkeit (u. a. in Berlin, Istanbul und Bukarest) engagiert sich der Linzer Künstler und Aktivist vor allem in sozialen Soundprojekten und als Vorstandsmitglied des Vereins „Backlab" in der lokalen Kulturszene der Stadt.


Oftmals schon habe ich die Frage gestellt bekommen, „Wie beginnst du den Prozess des Filmemachens? Wie fängt man an?“, oder „Woher nimmst du die Inspiration für ein Film- Projekt? Wie komme ich zu einer Idee?“ Dann stehe ich vor dem Problem, keine allgemeinen Antworten geben zu können. So unterschiedlich wie die Genres, Formate, Längen und Arten der Umsetzungen von filmischen Projekten, so vielfältig sind auch die Antworten auf die jeweilige Frage nach der Inspiration, bzw. nach dem Beginn, denn für beide Aspekte spielt die Individualität der Macher:innen eine entscheidende Rolle.

I started making films for myself and embracing the craft of filmmaking again. Consequently, my work got so much better.“1

Wie viele andere künstlerische Ausdrucksformen auch geht es meiner Meinung nach darum, die eigene Lebensrealität und die daraus resultierenden Gefühle, Gedanken, Ideen und Vorstellungen zu verarbeiten. Nachdem wir als menschliche Individuen in sehr unterschiedlichen Gegebenheiten leben, zeigt sich zu großen Teilen auch unser Umfeld sehr divers. Chinonye Chukwu hat ihre Realität als nigerianisch-US-amerikanische Frau eindrucksvoll als Inspiration für ihren Debütfilm alaskaLand verarbeitet. Mein Leben stellt sich sehr gegensätzlich davon dar – und trotzdem kann ich mich mit Fragestellungen und Elementen darin identifizieren.

Denn das Verbindende sind ganz elementar menschliche Erfahrungen – das Unterschiedliche. Wir alle begegnen unseren verschiedenen Realitäten auf ganz individuelle Art und Weise, geprägt von den jeweiligen Erfahrungen, Interessen und persönlichen Backgrounds. In pädagogischen Projekten und meiner Vermittlungsarbeit habe ich diese heterogenen Expertisen als sehr bereichernd für die Dynamik gemeinsamer Prozesse, aber auch für die einzelne kreative Praxis erlebt. Vor diesem Hintergrund konnten wir oft persönliche Antworten auf die eingangs aufgeworfenen Fragestellungen finden. Im Weiteren werde ich versuchen, essayistisch zu einer Beantwortung dieser Fragen zu gelangen.

Als sonisch geprägter Mensch nehme ich meine Umgebung sehr stark abhängig von deren klanglicher Qualität und Eigenheit war. Sowohl während meiner Arbeit an der Universität, eingebettet in urbane Architektur, als auch im Zuge meiner Freizeit – bspw. beim Wandern durch die Natur. Beide Beispiele beschreiben per se ganz unterschiedliche „Acoustic Territories“2 und bieten mir daher eine distinktive Sound-Charakteristik. Wir könnten nun beide Settings miteinander vergleichen und würden teils gegensätzliche akustische Gegebenheiten vorfinden. Wenn wir weiterdenken, ließe sich dann daraus bereits viel Interessantes „heraushören“.

Allerdings möchte ich hier nicht versuchen, analytisch den Klang meiner Lebensrealität zu beschreiben, sondern vielmehr abstrakt einen Weg nachzuzeichnen, wie ich daraus Inspiration beziehe: durch „bewusstes Hören“. Pauline Oliveros würde das vermutlich „Deep Listening“ nennen, oder Pierre Schaeffer als „Reduced Listening“ beschreiben.

Ein weiterer Weg, den ich konsequent seit meiner Kindheit gehe, verläuft parallel zum gerade beschriebenen „Wahrnehmen der Welt“ mittels Klangs – das Musikhören. Auch hier möchte ich darauf hinweisen, dass weder die Art (ergo Genre o. ä.) der Musik, noch die Zeit deren Entstehung hier für mich von Bedeutung sind. Weiters sind beide Parameter wiederum nicht von dem oben bereits erwähnten Faktor des Umfelds zu trennen. Damit meine ich, dass weder Lied, Track, Komposition, noch sonstige musikalische Ausdrucksform losgelöst von ihrer jeweiligen sozio-kulturellen Prägung (und somit „Umgebung“) gedacht werden kann. Somit sind für mich hier ebenfalls zusätzliche sonische Indikatoren von Bedeutung, die mit vielfältigen Informationen potenziell mein Hören der Musik anreichern – teilweise vielleicht nur subliminal, aber:

Who feels it knows it!“3

Vielfach sind meine prägenden Kindheitserinnerungen also an Hörerlebnisse geknüpft, manchmal zusätzlich mit deren Medialität (Plattenspieler, Walkman, Radio, ...). Inspiration aus Erlebtem, meinem Umfeld und visuellen Eindrücken, lassen sich für mich demnach immer in Verbindung mit Klang und Musik evozieren. Innere Bilder und Ideen verbinden sich mit Geräuschkulissen und Musik – so entsteht eine assoziative Kette an unterschiedlichen Motiven und Gefühlen, die ich für künstlerische Projekte nutzbar mache.

LOECKER Fabian Erblehner

(c) Fabian Erblehner

Am Beginn meines Langfilmdebüts A Rising Shine stand die Begeisterung für ein musikalisches Genre und dessen spezielle Art der Produktion und Performance – Dub. Zum einen konnte ich so den Themenbereich meiner Dokumentation bereits grob abstecken, und zum anderen ergab sich aus der kreativen Praxis der Musik für mich auch die Methode in Bezug auf Montage und Bildsprache – (Re-)Mix, Repetition, Feedback und Interaktion. Ich habe somit sowohl die Arbeitsweise, als auch die Ästhetik dieser Musikkultur in das Medium Film übertragen und dadurch eine stimmige Verknüpfung der Klang- und Bildebene erzielt. So konnte ich die Seher:innen in das Thema meines Filmes mehrschichtig einführen und mit meinen Erfahrungen, aber auch Interessen, des direkten persönlichen (musikalisch kulturellen) Umfelds in Kontakt treten lassen.

Im Gegensatz dazu kam die initiale Idee für das Pacing und die Art der Montage meiner Kurzdoku Er Ich John von zwei prägenden Faktoren, die während des Starts der Dreharbeiten sehr bestimmend waren: die Sprache meines Protagonisten und die Geräusche seines Hauses. Mehr als die Klangfarbe seiner Worte war es die Dynamik, in der er sich mitteilte und dabei von einem Thema ansatzlos ins nächste wechselte. Die gesamten Interviews führten wir bei ihm zuhause, und dort waren vor allem die Kuckucksuhr und das Klicken des Dia-Projektors die „Leitmotive“. Beide Geräusche verwiesen darüber hinaus auf zwei wichtige Aspekte unseres gemeinsamen filmischen Projekts. Einerseits inhaltlich auf sein künstlerisches Lebensthema, der „Zeit“, und andererseits wurde mein gestalterisches Hauptelement im Schnitt die Schwarzblende des Dia-Projektors.

Durch diese beiden unterschiedlichen, aber jeweils klanglich initiierten Ansätze konnte ich mich als Entität in beide Projekte einbringen, ohne darin direkt vorzukommen. Mein „Sein“ wurde somit Surrogat für alle Seher:innen und öffnete dadurch eine Bezugsmöglich zu meinen persönlichen Backgrounds, Interessen und Erfahrungen. Ich habe quasi zwei Filme über und für mich gedreht, um das Medium zu „meinem“ zu machen und so andere Menschen darin eintauchen zu lassen.

Ähnliche Ansätze, Inspiration aus Klang und Musik für das Umsetzen von Filmen zu ziehen, lassen sich auch in etlichen ganz anderen Beispielen finden. Bekanntermaßen spielt im Schaffensprozess von Quentin Tarantino zu Beginn vieler seiner Filmprojekte seine Vinylsammlung eine entscheidende Rolle. Nicht selten imaginiert er die „Opening Sequence“ (beispielsweise bei Jackie Brown) aufgrund eines Songs und setzt diese dann auch entsprechend um.

„One of the things I do when I am starting a movie, when I’m writing a movie or when I have an idea for a film is, I go through my record collection and just start playing songs, trying to find the personality of the movie, find the spirit of the movie.“4

Um auf die Grundgestimmtheit des Films und somit auch einen entsprechenden „Look & Feel“ zu kommen, entscheiden sich auch andere Regisseur:innen dafür, Musik zu verwenden. So gelingt es bspw. auch James Gunn, entworfene Szenen mit dem intendierten Leben zu füllen.

„When the actors hear the music play, they get a much better idea of the tone of the scene. Sometimes the music is huge, and that allows them to go further emotionally, without fear of being overdramatic.“5

Legendär sind seine Mixtapes im Zuge der Guardians of the Galaxy-Filmreihe. Die Songs stehen dabei jeweils ebenfalls am Beginn des Schreibens seiner Filme und sind auch meist im originalen Skript inkludiert. Nicht nur um Szenen zu definieren, sondern sehr oft auch um die Charaktere zu „beschreiben“, und somit dem Cast das Einfühlen in die Protagonist:innen zu erleichtern. Im Fall von Baby Driver inspirierte die Musik Edgar Wright zu Namen seiner (Haupt-) Figuren, dem Plot allgemein, Ideen für Szenen und auch für das Pacing von Action-Sequenzen.

Also, a lot of the songs in the movie had some interesting things happening structure-wise— tempo changes, breakdowns, loud and quiet bits. I’m always trying to find songs that have sections like that.“6

In diesen drei Beispielen finden wir den bewussten Einsatz von Musik als gestalterisches Mittel und Inspiration für Charaktere, Plot, Szenen, aber auch Pacing und Kinematografie, wieder. Es erlaubt jeweils das Eintauchen in eine gewisse (artifizielle) Umgebung und dient oftmals als Bezugsmöglichkeit für uns Zuseher:innen. Die andere Ebene, um Film als immersives Erlebnis wahrzunehmen ist, wie bereits erwähnt, jene der Klänge und Geräusche.

LOECKER Patric Pavel

(c) Patric Pavel

Im Sound Design großer Hollywood-Produktionen kommt den Foley-Artists eine gewichtige Rolle zu, die jeweilige intendierte Umgebung auch erfahrbar und „real“ werden zu lassen. Nachdem eine Abhandlung dessen hier nicht nur den Rahmen sprengen, sondern uns auch vom ursprünglich intendierten Weg abbringen würde, möchte ich den Fokus nur kurz auf die Anfänge der filmischen Klanggestaltung lenken.

Ende der 1950er Jahre legte der legendäre BBC Radiophonic Workshop die Grundlage für das filmische Sound Design, wie wir es heute kennen. Das Team rund um Daphne Oram erweckte mittels Klangsynthese und Tonbändern die Bewegtbilder der BBC zum Leben. Vor allem Delia Derbyshires Arbeit am Soundtrack und der Titelmelodie von Doctor Who hat bis dato Kultstatus. Viele der verwendeten Methoden und Techniken bauten auf den Pionierleistungen der Musique Concrète auf, die bereits ein Jahrzehnt zuvor begannen, mit Hilfe von Sampling und Montage (bzw. Collage) Klangatmosphären und -räume zu gestalten.

Die Arbeit von Pierre Schaeffer und Pierre Henry nahm seinen Anfang im Radio und ist daher ohne Bildebene entwickelt worden. Allerdings öffnen sich ganz eigene Klangwelten, die Vorstellungen evozieren und so den Gedanken an ein „Kino für die Ohren“ nahelegen.

It’s a sort of modern magic. We think there’s something in it. Some musicians believe it may become an art form in its own right.”7

Auf magische Weise kommen so auch die unterschiedlichen Wege wieder zusammen und münden in eine persönliche Conclusio, mit der ich versuchen möchte, nun die Eingangsfragen zu beantworten. Daphne Orams Zukunftsvision lässt sich nicht nur in der aktuellen Popmusik finden, sondern verbindet diese kontemporäre Musikproduktionstechnik auch mit den Kulturtechniken des Dub, und dadurch mit meiner originären Inspiration des filmischen Arbeitens. Gerade das Sampling per se lässt sich in meiner Art der Montage wiederfinden und mich somit musikalisch gestalten, ohne notwendigerweise Musik zu produzieren. Als mir meine individuelle Methode bewusst wurde, begann ich diese auch in anderen künstlerischen Projekten von mir zu entdecken, die oftmals auf den ersten Blick wiederum nicht „filmisch“ sind. In diesem Moment begann ich, mich als Medienkomponisten zu bezeichnen.

Doch zurück zum Beginn und dem abschließenden Versuch, Antworten zu finden. Der Prozess meiner Filme startete jeweils viele Jahre, bevor ich begonnen habe, daran zu arbeiten – und die Inspiration dafür kam aus mir. Genauer gesagt aus meinem Leben mit all dem Klingenden, das ich darin wiederfand. Nach wie vor finde ich Klang und Musik wieder, und immer wieder, als intrinsischen Katalysator für die Gestaltung von Medien. Manchmal wird ein Film daraus, aber manchmal auch nicht. Was sich allerdings in meinen Projekten immer manifestiert bin „Ich“ – das Wesen dahinter. Daher lautet mein Rat auf die eingangs gestellten Fragen auch immer: „Just do YOU! Der persönliche Zugang zum Wahrnehmen der eigenen Lebensrealität ist ganz individuell – wie auch dein Weg zum filmischen Gestalten.“

Literaturverzeichnis

1 Chinonye Chukwu –– https://m.imdb.com/name/nm2703... (01.01.2022)
2 Brandon LaBelle –– Acoustic Territories: Sound Culture and Everyday Life, London, 2010
3 Bunny Livingston –– Who feels it knows it, The Wailers, Kingston, 1966
4 Quentin Tarantino –– https://nofilmschool.com/taran... (01.01.2022)
5 James Gunn –– https://variety.com/2017/film/... (01.01.2022)
6 Edgar Wright –– https://pitchfork.com/thepitch... (01.01.2022)
7 Daphne Oram –– https://www.ableton.com/en/blo... (01.01.2022)