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Filmpreis hero

Stella Rollig über die Preisskulptur

Eine außergewöhnliche Künstlerin wurde für die Gestaltung des Österreichischen Filmpreises gewonnen: VALIE EXPORT, die mit ihrem einflussreichen Oeuvre seit Jahrzehnten sowohl die bildende als auch die Filmkunst prägt.

Wir hören das Rattern des Projektors. Kader für Kader schiebt sich in den Raum.

Eine spiralförmige Stiege ohne Abschluss, potenziell unendlich in die Höhe führend, Schnitt für Schnitt. Diese Figur hat EXPORT für die Preisskulptur gewählt.

Die Abfolge der Stufen einer Stiege als Bewegung in den Raum – die Abfolge der Kader als Motion Picture, als Bewegung in die Zeit. Die Form schraubt sich in den Raum, der Film in die Zeit. Beide Formate suggerieren das Potenzial der Unendlichkeit, ein Versprechen, das nie eingelöst wird.

Der Film muss enden; selbst das Format des Loops täuscht mittels Wiederholung Unendlichkeit nur vor. Unter den bildenden Künstlern hat Constantin Brancusi, der Bildhauer, mit seiner „Endlosen Säule“ eine formale Lösung gefunden, die EXPORT mit ihrer Skulptur aufgreift: den abrupten Schnitt nach einer möglichst regelmäßigen Abfolge gleichartiger Elemente, der das Ende gleichsam überspringt.

Das Motiv der Stiege ist aufgeladen von Filmszenen, die im gemeinsamen Gedächtnis abrufbar sind: das dramatische Herunterrattern des Kinderwagens über die Freitreppe in Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“; zitternde Heldinnen, die mit angehaltenem Atem auf das Geräusch von Schritten im Stiegenhaus warten.

Marcel Duchamp’s „Akt, eine Treppe herabsteigend“ ist wahrscheinlich die berühmteste Aktivierung einer Stiege in der Kunstgeschichte, „Ema (Akt auf einer Treppe)“ Gerhard Richters kaum minder renommierte malerische Erwiderung.

Im Werk von VALIE EXPORT, das immer auch brillante Analysen seiner eigenen medialen Voraussetzungen darlegt, spielen Stiegen, manchmal auch Leitern eine Hauptrolle: In konzeptueller Fotografie nutzt sie das Bild der Leiter, um Veränderungen und Verschiebungen durch das Objektiv zu verdeutlichen; in den Fotoarbeiten des „Salzburger Zyklus“ werden weibliche Gesichter mit Stiegen digital verschmolzen, Individuum und gebaute Lebenswelt sind untrennbar verwoben.

Selbstverständlich liegt es nahe, bei der stiegenförmigen Skulptur eines glanzvollen Preises an Karriere, Siegerpodest und Stairways to Heaven zu denken. Da aber VALIE EXPORTs künstlerische Denkweise nicht auf die schlichte Strapazierung von Symbolen angewiesen ist, sondern sich durch präzises strukturelles Denken auszeichnet, überlassen wir weiterführende Assoziationen allen, die sie gerne ausspinnen mögen.

Stella Rollig
Generaldirektorin und Wissenschaftliche Geschäftsführerin Belvedere Wien